Die Medien sind seit Jahren unter dem Druck einer sich verändernden und digitalisierten Gesellschaft. Die offensichtlichste Veränderung betrifft die Werbeeinnahmen – eine vormals sichere Einnahmequelle begründet in Reichweite und damit dem Einfluss der klassischen Medien – die zum großen Teil ist in Richtung der werbestarken digitalen und sozialen Medien abgewandert ist. Während die Anzahl der privaten Radio- und Fernseh-Programme zunimmt, sinkt die Anzahl und die Auflagenstärke der unabhängigen Tageszeitungen weiter. Parallel dazu hat die Konzentration in den Verlagen zugenommen. Der Gesamtanteil der 10 größten Verlagsgruppen in Deutschland liegt jetzt bei knapp 62 Prozent, einem Rekordwert. Eine derartige Konzentration bleibt nicht ohne Folgen für die Inhalte und Qualität: ohne Konkurrenz investieren Verleger nicht in den Qualitätsjournalismus, was wir an dem hohen Anteil an Nicht-Festangestellten und ausgedünnten Redaktionen sehen können.
Folgen hat auch das weitgehend sozial abgeschottete Berufsfeld. Journalisten kommen überwiegend aus dem Mittelstand, mit einem klassischen Studienabschluss und entsprechender Vorbildung, woraus sich ein relativ einheitliches Meinungsbild ergibt. Zwar versuchen die klassischen Medienunternehmen ihre Diversität zu erhöhen, alle Gesellschaftsschichten mitzunehmen und vielfältige Meinungen abzubilden, aber erstens benötigt der Wandel Zeit und zweitens liegen die Eintrittsschwellen in der digitalen Welt immer noch deutlich tiefer. Damit entstehen in der digitalen Welt neue Formate deutlich schneller, die sich zudem an die nächste Generation richten und auf bisherige Gewohnheiten und Finanzierungsarten keine Rücksicht nehmen müssen.
Das Berufsfeld des Journalismus selbst hat sich stark gewandelt. Die schiere Masse der Nachrichten und deren schnelle Verbreitung in digitalen Formaten wie Messenger- und Video-Diensten erlauben kaum noch zeitintensive Recherchen und vor-Ort-Berichte, vormals eine Stärke der klassischen Medien. Zudem nehmen die Nischenangebote für ein Publikum zu, das bereit ist für spezielle Inhalte zu zahlen. Auch die übliche Abgrenzung zwischen „klassischen“ und „alternativen“ Medien verschwimmt weiter: die klassischen Medien bieten mittlerweile vielfältige digitale Formate an und alternativen Medien gründen auf der anderen Seite eigene Verlage.
Das Problem ist ein grundsätzliches: Wenn die Hauptwährung weiterhin Aufmerksamkeit ist, damit Werbeeinnahmen fließen und die Auflagen stabil bleiben, dann unterstützen wir laute und polarisierende Überschriften, Katastrophenmeldungen und Überzeichnungen. Und letztlich ausgesprochene oder unausgesprochene inhaltliche Vorgaben. Dies gilt sowohl für die klassischen als auch die digitalen Medien. Damit hat es der ernsthafte Journalismus in beiden Welten schwer. In vielen Fällen haben wir den Diskurs, der für unsere Demokratie essenziell ist, bereits zugunsten der Klickraten eingestellt.
Unsere ZukunftsSkizze haben wir dementsprechend anhand der Dimensionen „Unabhängigkeit“ (Definition: weitgehende finanzielle Unabhängigkeit von Werbung, staatlichen Hilfen, Sponsoring; mit Abstand zu Politik und Wirtschaft) und „Durchlässigkeit der Redaktionen“ (Definition: alle Schichten sind in Redaktionen vertreten, Nutzung vielfältiger Quellen; klassische und sog. alternative Medien kooperieren bei Recherche, Inhalten und Verbreitung) aufgebaut, wobei wir keinen grundlegenden Unterschied mehr zwischen klassischen und digitalen Medien vornehmen.
Die Szenarien im Einzelnen:
Journalismus im ADHS-Modus
In diesem Szenario sind die Medien und der Journalismus weiter die Getriebenen von Quoten, Klicks und Werbung. Diese Abhängigkeiten verschärfen die indirekte und auch direkte Einflussnahme durch Politik und Wirtschaft in den Redaktionen und Führungsetagen. Der Journalismus bleibt ein weitgehend sozial abgeschottetes Feld. Parallel entstehen unabhängige Nischenformate mit neuen, direkten Finanzierungsmodellen. Insgesamt gehen die gesamtgesellschaftliche Sicht und der Diskurs weiter verloren, mit einer zunehmenden Trennung der Weltbilder und der gefühlten Realitäten – eine für Demokratien gefährliche Entwicklung.
Diskurs in Nischen
Wie im vorherigen Szenario sind Medien und Journalisten auch hier weiterhin stark durch Quoten, Klicks und Werbungsfinanzierung beeinflusst. Allerdings behaupten die Medien ihre Unabhängigkeit in der Besetzung der Führungspositionen und entwickeln neue Finanzmodelle für Diskurs-orientierte Teilbereiche, die eine größere Unabhängigkeit erzielen. In diesen Nischen entsteht ein neuer Abstand zu Politik und Wirtschaft, allerdings unterbleibt der große gesamtgesellschaftliche Austausch weiterhin. Damit erleben wir eine Zweiteilung in passiv-beschallte und in aktiv-informierte Bürger. Der Journalismus bleibt ein weitgehend sozial abgeschottetes Feld.
Klassisch-offen
In dieser Zukunft öffnen sich die Redaktionen hin zu einer inhaltlichen Teilhabe der Mitbürger und damit hin zu vielfältigen Weltsichten aus der Gesellschaft heraus. Diese Öffnung führt zu neuen Koalitionen und Kooperationen der klassischen und digitalen Medien entlang bestimmter Themenschwerpunkte. Die klassische Finanzierung überwiegt, die Nachteile möglicher Einflussnahmen und Behinderungen des Diskurses werden weitgehend durch Vielfalt der Meinungen, Diversität der Beteiligten und diskurs-orientierte Formate aufgefangen. Der Abstand zu Politik und Wirtschaft nimmt vor allem in investigativen Formaten zu, die Besetzung der Führungspositionen ist weiterhin von externen Interessen beeinflusst.
Plurale Weltsichten
In diesem Szenario gibt die Gesellschaft die Anforderung vor, dass Medienunternehmen mindestens ein finanziell, personell und thematisch unabhängiges Format anbieten müssen. Diskurs-orientierte Medien sind direkt durch die Gemeinschaft finanziert, Inhalte von Unterhaltungsformaten mit Werbefinanzierung sind als solche klar gekennzeichnet. Alle Medien operieren aus der Gesellschaft heraus, mit einer breiten Teilhabe von Bürgern aller Schichten und mit unterschiedlicher (Aus-)Bildung. Die verschiedenen Weltsichten werden in den Medien abgebildet und diskussionswürdige Entwicklungen ausgiebig und offen behandelt. Die Führungspositionen der Medien werden in einem offenen und medial begleiteten Prozess besetzt.
Fazit
Eine kritische Presse hatte es noch nie leicht. Sofern wir die Unabhängigkeit der Presse und das Berufsfeld des kritischen Journalisten erhalten wollen – die Grundlage einer pluralistischen Demokratie – sollten wir als Gesellschaft die momentane Struktur der Medien nicht unverändert lassen. Kritisch betrachtet scheint der Veränderungswille der Gesellschaft aber gering. Deshalb obliegt es den Medienunternehmen und Journalisten selbst, sich ihre freie und selbstbestimmte Zukunft zu sichern. Ein erster Schritt würde darin bestehen, die Illusion aufzugeben, es gäbe einen grundlegenden Unterschied zwischen klassischen und digitalen Medien, denn die Logik der Aufmerksamkeitsspirale gilt für beide Formen.
Medienschaffende und Journalisten können warten, bis sich ihr Berufsfeld in den Weiten der digitalen Welten aufgelöst hat oder sich behaupten. Sie können auf zwei Hauptebenen handeln:
- Die Finanzierungsmodelle verändern und aktiv neue unabhängige Formate ausprobieren
- Die Redaktionen deutlich offener gestalten, um eine breite Teilhabe aller Gesellschaftsschichten und damit mehr Austausch und Diskussion zu ermöglichen
Haben Sie vor sich zu behaupten? Gerne helfen wir Ihnen eine unternehmensspezifische Zukunftssicht zu entwickeln: Gemeinsam analysieren wir aktuelle Trends und Einflussfaktoren, aus denen dann detaillierte Zukunftsszenarien abgeleitet werden. Auf dieser Basis entwickeln wir konkrete Innovationsideen und eine Innovations-Roadmap. Kontaktieren Sie uns unter hello@visionarylabs.io, über das Formular unten auf dieser Seite oder über unsere Social Media Kanäle.
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